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Erstellt: 11.12.2019
Kategorie: Blogbeiträge

Lieferkettengesetz – wie Sie sich schon jetzt darauf vorbereiten können

Kathrin Ankele und Judith Winterstein

Das Thema „Verantwortung für die Lieferkette“ ist in den vergangenen Jahren immer stärker in den Fokus gerückt. Die Bunderegierung hat zur Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte den „Nationalen Aktionsplan Menschenrechte“ (kurz NAP) auf den Weg gebracht und damit zentrale Weichen gestellt. Dennoch werden die Forderungen nach einem Lieferkettengesetz immer lauter. Mit Entwicklungsminister Müller und Arbeitsminister Heil gibt es prominente politische Unterstützung und im Dezember 2019 haben sich 42 deutsche Unternehmen, darunter Tchibo, Ritter Sport, Nestlé Deutschland und Vaude für ein Gesetz ausgesprochen, das menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten regelt. Die „Initiative Lieferkettengesetz“ fordert seit geraumer Zeit schon, „einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen, mit dem Unternehmen verpflichtet werden, auch im Ausland Menschenrechte und Umweltstandards zu achten. Unternehmen, die für Schäden an Mensch und Umwelt verantwortlich sind, müssen dafür haften. Geschädigte müssen auch vor deutschen Gerichten ihre Rechte einklagen können.“ Die Nichtregierungsorganisationen Amnesty International, Brot für die Welt, Germanwatch und Oxfam Deutschland als Mitinitiatoren haben bereits 2016 die Entwicklung eines deutschen Gesetzesvorschlags für eine menschenrechtliche Sorgfaltspflicht beauftragt, das „Menschenrechtsbezogene Sorgfaltspflichten-Gesetz – MSorgfaltsG“. Auch wenn nicht klar ist, inwieweit sich dieser Vorschlag in einem Lieferkettengesetz wiederfinden wird, bietet er dennoch eine gute Grundlage für Unternehmen, die sich rechtzeitig auf eine entsprechende Regulierung einstellen wollen. Denn auch die Bundesregierung hat bei Verabschiedung des NAP angekündigt, dass weitergehende Schritte bis zu gesetzlichen Maßnahmen geprüft werden, wenn das Monitoring von 2020 aufzeigt, dass weniger als 50 Prozent der Unternehmen in Deutschland mit mehr als 500 Beschäftigten die Kernelemente des NAP umsetzen. Deshalb sollten schon jetzt praxistaugliche Lösungen für die Kernelemente Risikoanalysen, Präventions- und Abhilfemaßnahmen, Organisations- und Berichtspflichten inklusive Beschwerdemechanismus entwickelt und implementiert werden.

SYSTEMATISCHE VORSORGE IST BESSER ALS NACHSORGE

Eine nachhaltige Lieferkettenstrategie kann nicht nur dabei helfen, das Nachhaltigkeitsengagement in den Lieferketten auf eine solide Basis zu stellen, sondern auch rechtliche Konsequenzen wie Schadensersatz und/oder Bußgelder so weit wie möglich zu vermeiden. Folgende Aspekte sollten dabei berücksichtigt werden.

  • Positionierung zum Thema Nachhaltigkeit in der Lieferkette

Bei der Positionierung geht es einerseits darum, dass ein Unternehmen die sozialen und ökologischen Risiken in den eigenen Lieferketten erkennt und Verantwortung dafür übernimmt. Andererseits bietet sich die Möglichkeit, auf Herausforderungen im nachhaltigen Lieferkettenmanagement hinzuweisen und zu erklären, welche Veränderungsprozesse einen längeren Zeithorizont erfordern. Eine konsistente Positionierung zeigt auf, was das Unternehmen erreichen will, mit welchen Mitteln und in welchen Zeiträumen. Damit wird das Profil des Unternehmens geschärft und die Glaubwürdigkeit des unternehmerischen Engagements gesteigert.

  • Risikoanalyse

Die Komplexität von Lieferketten unterscheidet sich erheblich: teilweise bestehen sie nur aus einer oder wenigen Stufen und ein Fokusunternehmen steht in direkten Vertragsbeziehungen mit den Unternehmen der Lieferkette (z. B. Lebensmittelhandel und Erzeuger von Agrarprodukten). Teilweise sind die Lieferketten weit verzweigt und die Transparenz endet beim direkten Lieferanten, Informationen über Anbau/Abbau und Weiterverarbeitungsstufen liegen nicht oder nur eingeschränkt vor. Auch die Autoren des Gesetzesvorschlags gehen davon aus, dass die Risikoermittlung mit der Anzahl der Lieferkettenstufen schwieriger wird – und analog dazu die Anforderungen daran abnehmen. Davon auszunehmen sind Fälle, in denen die Risiken durch eine einfache Desktoprecherche ermittelt werden können oder wenn NGOs und Gewerkschaften darauf hinweisen. Um Menschenrechtsverletzungen und Haftungsrisiken so weit wie möglich zu vermeiden, sollten deshalb auf jeden Fall die besonders risikobehafteten Produktbestandteile und die Hauptrisiken der potenziellen Herkunftsländer ermittelt werden.

Nicht für alle Produkte stehen einfache Lösungsansätze bereit und auch die sozialen und ökologischen Risiken sind nicht gleich hoch. Deshalb sollte zunächst eine Risikoanalyse des Produktsortiments im Hinblick auf Rohstoffe und deren Herkunfts- bzw. Verarbeitungsländer durchgeführt werden. Hierfür können Unternehmen und Wirtschaftsakteure mit Aktivitäten in Entwicklungs- und Schwellenländern z. B. den CSR-Risiko-Check von MVO Nederland, UPJ und NAP Helpdesk heranziehen. Bei einem breiten Produktsortiment müssen Prioritäten gesetzt und ein Stufenplan entwickelt werden. Eine Wesentlichkeitsanalyse, in welche die Ergebnisse der Risikoanalysen und weitere Informationen wie Lieferkettenstruktur und Mengenrelevanz einfließen, ist herfür eine hilfreiche Grundlage. Auf dieser Basis können effektive Risikominderungsmaßnahmen eingeleitet werden.

  • Abhilfemaßnahme Zertifizierung

Produkte oder Produktbestanteile nach einem Nachhaltigkeitsstandard zertifizieren zu lassen, ist eine erste wirksame Abhilfemaßnahe, um im Wortgebrauch des MSorgfaltsG zu bleiben. Die Verfügbarkeit und Reichweite dieser Standards unterscheidet sich jedoch zwischen Branchen bzw. Produktbereichen. Für die Lebensmittel- und Textilindustrie bestehen bspw. bereits eine Reihe von Nachhaltigkeits-Zertifizierungen für den Anbau und teilweise auch für die Verarbeitung. In einem ersten Schritt sollten Unternehmen also überprüfen, welche Nachhaltigkeits-Zertifizierungen für ihr Produktsortiment verfügbar sind und ob ihre Lieferanten diese umsetzen können, um soziale und ökologische Risiken in ihren Lieferketten zu mindern.

  • Abhilfemaßnahme Multistakeholder-Initiative

Häufig sind Unternehmen mit ähnlichen Risiken in ihren Lieferketten konfrontiert, da sie dieselben Rohstoffe beziehen, teilweise aus denselben Herkunftsländern. Multistakeholder-Initiativen bieten gleich mehrere Vorteile: die Informationsbeschaffung für die Risikoanalysen wird gebündelt, die Betroffenen oder deren VertreterInnen können sich Gehör verschaffen, Unternehmen erhalten wichtige Inputs zur Entwicklung von Präventions- und Abhilfemaßnahmen, Lieferanten werden nicht durch Mehrfachanfragen überfordert und sitzen sogar teilweise mit am Tisch zur Lösungsfindung, um nur einige zu nennen. Im Rahmen solcher Initiativen (z. B. Forum Nachhaltiger Kakao) können Ressourcen effektiv und effizient eingesetzt werden.

  • Abhilfemaßnahme unternehmenseigener Nachhaltigkeitsstandard

Die bestehenden Zertifizierungssysteme decken nur einen Teil eines Produktsortiments ab. Darüber hinaus werden nur bestimmte Nachhaltigkeitsrisiken adressiert. Deshalb stellt die Entwicklung eines eigenen Nachhaltigkeitsstandards für Vorreiter eine erfolgversprechende und breitenwirksame Lösung dar. Einige führende Lebensmittelhersteller mit einem breiten Produktsortiment sind diesen Schritt bereits gegangen. Dabei ist wichtig hervorzuheben, dass der Nachhaltigkeitsstandard kein externes Kommunikationsinstrument im Sinne eines Labels darstellt, um angesichts der bereits existierenden Labelvielfalt keine weitere Verwirrung zu stiften. Vielmehr stellt ein eigener Nachhaltigkeitsstandard ein internes Steuerungsinstrument dar mit dem ein Unternehmen die Nachhaltigkeitsrisiken in seinen Lieferketten minimiert und sich gleichzeitig nach innen und außen zum Thema Nachhaltigkeit in der Lieferkette positioniert.

  • Beschwerdemechanismus

Die Risikoanalysen sollten ergänzt werden um einen Beschwerdemechanismus, der Betroffenen oder Akteuren mit einem direkten Einblick in die Anbau-/Abbaubedingungen in den jeweiligen Herkunftsländern die Möglichkeit einräumt, Informationen über Nachhaltigkeitsrisiken weiterzugeben. Ein solcher Beschwerdemechanismus ist sowohl im Rahmen des NAP Menschenrechte als auch des o. g. Gesetzesvorschlags vorgesehen. Die praktische Ausgestaltung stellt Unternehmen allerdings vor Herausforderungen, insbesondere wenn weiter entfernte Lieferkettenstufen und Akteure außerhalb der Unternehmen wie regionale/lokale NGOs und Gewerkschaften eingebunden werden sollen. Der Leitfaden zur Einführung von Beschwerdemechanismen des NAP bietet praktikable Lösungsansätze.

  • Berichterstattung

Unternehmen müssen darlegen können, wie sie ihre menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten umsetzen. Im Rahmen eines Lieferkettengesetzes würde es sich anbieten, die Berichtspflicht an das CSR-RUG zu koppeln, d. h. (mindestens) diejenigen Unternehmen, die zu einer nichtfinanziellen Berichtslegung im Sinne des HGB verpflichtet sind, wären auch hier berichtspflichtig. Dafür gilt es, relevante Berichtsinhalte wie Managementansatz, Indikatoren und Kennzahlen zu definieren, die Unternehmen in ihre Nachhaltigkeits-Berichterstattung aufnehmen können, um ihre Aktivitäten glaubwürdig und nachvollziehbar zu beschreiben.

Unsere Expertise

Ob verpflichtendes Lieferkettengesetz oder freiwilliger NAP, menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten in den Lieferketten werden an Bedeutung weiter zunehmen. In vielfältigen Praxisprojekten haben wir Unternehmen bei der Entwicklung und Umsetzung einer Lieferkettenstrategie zur Analyse und Minderung der sozialen und ökologischen Risiken beraten. Unser Schwerpunkt liegt insbesondere in der Lebensmittel– und Textilindustrie. Gerne unterstützen wir auch Sie!

UNTERNEHMERISCHES EIGENINTERESSE – BESCHAFFUNGSSICHERHEIT

Ökologische und soziale Risiken in der Lieferkette sind nicht nur im Hinblick auf die unternehmerischen Sorgfaltspflichten ein wichtiges Thema. Sie stellen auch im Hinblick auf die eigene Beschaffungssicherheit eine Gefahr dar. Erfahren Sie mehr über diesen Zusammenhang und die Herausforderungen des Handels im Hinblick auf ein zukunftsgerichtetes nachhaltiges Lieferkettenmanagement in unseren Blogbeiträgen „Wie sicher ist die Beschaffung von Agrarprodukten?“ sowie „Nachhaltiges Lieferkettenmanagement – Was muss und kann der Handel leisten?“