Kathrin Ankele und Judith Winterstein
Lassen Sie uns mit einem Gedankenexperiment beginnen und eine Vision für die nachhaltige Erzeugung von Lebensmitteln skizzieren: aus welchen Elementen würde diese wohl bestehen? Mit Sicherheit gäbe es keine Kinderarbeit auf Kakaoplantagen an der Elfenbeinküste, Sklaverei-ähnliche Verhältnisse bei der Tomaten- oder Erdbeerernte in Südeuropa gehörten längst der Vergangenheit an, die negativen Auswirkungen der Massentierhaltung auf Tiere, Boden, Gewässer und den Menschen selbst wären überwunden, es gäbe Alternativen für die Nutzung nicht-erneuerbarer, fossiler Grundwasservorkommen beim Kartoffelanbau in Ägypten, es würden keine Regenwälder mehr für den Anbau von Soja und Palmöl abgeholzt und es bestünde kein Bedarf an Pestiziden mit ihren schädlichen Auswirkungen auf Natur und Mensch. Die Aufzählung könnte für viele weitere Erzeugnisse und Herkunftsregionen nahezu beliebig fortgeführt werden. Es sollte aber jetzt schon deutlich geworden sein, mit welcher Bandbreite und Komplexität an Themen und Herausforderungen die Lebensmittelindustrie und die KonsumentInnen heute konfrontiert sind, verbunden mit der Frage: Was kann ich als einzelne KonsumentIn bzw. als einzelnes Unternehmen tun? Dabei sollte nicht übersehen werden, dass Handelsunternehmen und KonsumentInnen sich längst schon auf den Weg gemacht haben, an der bestehenden Situation etwas zu ändern. Ausreichend im Sinne einer konsequent nachhaltigen Lebensmittelerzeugung waren die Anstrengungen bislang jedoch nicht. Trotz der intensiven Wechselwirkungen zwischen den beiden Akteursgruppen liegt der Fokus in diesem Beitrag auf den Handelsunternehmen:
Pioniere schreiten voran
Da weder der Bioanbau und noch weniger der konventionelle Anbau befriedigende Antworten auf die Frage „WIE MACHE ICH ES RICHTIG?“ liefern, reicht es nicht mehr, dass Unternehmen bestehende Standards anwenden. Sie müssen darüber hinaus auch eigene Wege eines nachhaltigen Lieferkettenmanagements gehen und damit als Vorreiter den Maßstab für die gesamte Branche anheben. Dazu zählt die Entwicklung ambitionierter eigener Standards bis hin zur Umsetzung von Pilotprojekten mit auf das jeweilige Anbauland/-region und den Agrarrohstoff angepassten ökologischen und sozialen Schwerpunktthemen. In einem anschließenden Konsolidierungsschritt sollten die Anforderungen der Handelsunternehmen auf höherem Niveau jedoch wieder vereinheitlicht werden, um die Erzeuger nicht mit einer zunehmenden Vielfalt an Anforderungen und Audits zu überfordern.
Überwindung traditioneller Beschaffungs- und Markstrukturen
Nachhaltigkeitsabteilungen und der Einkauf von Handelsunternehmen sind mit Beschaffungs- und Marktstrukturen konfrontiert, die einer nachhaltigen Verbesserung teilweise im Wege stehen. Dazu gehören der Einkauf auf Spotmärkten bzw. an Börsen oder die Nichtakzeptanz eines höheren Einkaufspreises für nachhaltigere Erzeugnisse. Zukunftsgerichtete Einkaufpolitik erkennt, dass sich immer mehr Einkäufermärkte in Verkäufermarkte wandeln werden. Denn die Ressource fruchtbarer Boden wird immer knapper und der Klimawandel wird diese Situation noch verschärfen. Eine enge und langfristige Bindung an Lieferanten scheint heute in einigen Segmenten noch unmöglich oder ökonomisch wenig sinnvoll. Für eine tatsächliche Verbesserung der ökologischen und sozialen Bedingungen, vor allem aber auch zur Sicherung der eigenen Beschaffung, sind diese aber unerlässlich.
Priorisierung ist gefragt
Angesichts der Vielzahl an Herausforderungen bedarf es in einem ersten Schritt eines strategischen Blicks auf das Sortiment und der Erstellung eines Stufenplans. Während die „low hanging fruits“ meist über den Bezug zertifizierter Rohstoffe und über die allgemeinen Lieferantenanforderungen schnell zu „ernten“ sind, erfordern die notwendigen weitreichenderen Maßnahmen großes Engagement. Zur Priorisierung der Umsetzungsschritte ist also eine Analyse der spezifischen Risiken und Chancen sinnvoll. Dabei spielen einerseits der Absatz und die Sortimentsrelevanz, andererseits die Art der ökologischen und sozialen Risiken eine zentrale Rolle.
Personeller und finanzieller Ressourcenaufbau
Die eingangs in der Vision genannten Beispiele haben gezeigt, dass die Anzahl der anzugehenden Themen groß ist. Um die Herausforderungen zu bewältigen, müssen in den Nachhaltigkeitsabteilungen sowohl ausreichende personelle und finanzielle Ressourcen zur Verfügung gestellt als auch Expertise in neuen Themenfeldern aufgebaut werden. Ist der systematische Ausbau einer nachhaltigen Einkaufsstrategie allein mit internen Ressourcen nicht zu bewältigen, sollten Handelsunternehmen gerade in der oben angesprochenen Vorreiterphase auch Netzwerke bilden (unter Berücksichtigung kartellrechtlicher Beschränkungen) und externe Experten einbeziehen. Diese können wichtige inhaltliche Impulse liefern und den Ausbau interner Kompetenzen befördern. Außerdem können Sie ressourcenintensive Aufgaben wie die Steuerung von Pilotprojekten unterstützen.
Neuausrichtung Kommunikation und Marketing
Neben der Umsetzung fachlicher Anforderungen müssen Unternehmen verstärkt auch Kommunikation und Marketing als Hebel der Veränderung nutzen. Derzeit vollführt der Handel diesbezüglich allerdings einen Spagat zwischen günstig und nachhaltig. Dieser ist jedoch weder für die Glaubwürdigkeit des eigenen Engagements förderlich, noch werden damit eindeutige Anreize und Orientierung für ein verändertes Konsumverhalten gegeben. Genau das ist jedoch ein weiterer wichtiger Baustein für eine Veränderung der Marktstrukturen in Richtung Nachhaltigkeit für Erzeuger, Handel und KonsumentInnen. Informationen über unser Beratungsangebot im Bereich Nachhaltiges Lieferkettenmanagement finden Sie hier.